Der blinde Fleck des Christentums

Shownotes

Zugegeben, dieser Titel ist etwas reisserisch. Aber es geht um ein Thema, welches das Christentum grösstenteils ausblendet: Unser Verhältnis zu Tieren. Tiere kommen in unserer Spiritualität nicht vor.

Auch im Alltag begegnen Tiere vielen von uns v. a. noch in lustigen Instagram-Reels von süssen Ziegen, die auf der Weide rumspringen, oder Kakadus, die zu hipper Musik tanzen. Wir treffen Kühe auf dem Sonntagsspaziergang und haben sie später auf dem Teller.

Ich glaube, dass wir damit etwas Wichtiges ausblenden – auch theologisch. Kürzlich in einem Gottesdienst wurde die Bibelstelle Jesaja 11 vorgelesen: Es ist ein Sinnbild für den Himmel, und das wird in dem Text so dargestellt, dass Tiere und Menschen friedlich zusammenleben.

Wer sich als spiritueller Mensch und/oder als Christ:in versteht, kommt m. E. nicht um dieses Thema herum. Als Menschen sind wir Teil der Schöpfung und Tiere gehören zu unseren Gegenübern. Wie wir sind viele von ihnen fähig, Freude und Trauer zu empfinden, Beziehungen zu knüpfen, und wer Haustiere hat, weiss, dass Tiere einen individuellen Charakter haben.

Tiere sind mehr als schützenswerte Ökovielfalt oder Nahrungslieferanten für uns Menschen. Ich sage nicht, dass alle vegan leben müssen. Wer den Tod eines Tieres mit seinem Gewissen vereinbaren kann, kann durchaus hin und wieder ein Stück Fleisch essen, wenn das Tier zuvor ein gutes Leben hatte. Doch von der Viertelmillion Tieren, die täglich in der Schweiz geschlachtet werden, ist das vermutlich bei den wenigsten wirklich der Fall.

Wie wir uns heute ernähren und Tiere «nutzen», ist Welten von dem friedlichen Zusammenleben entfernt, das in der Bibel als «Himmel auf Erden» geschildert wird. Wir haben so viele Probleme auf der Welt. So viel Kriege, so viel Ungerechtigkeit. Und ich fühle mich so oft hilflos dem gegenüber. Doch gerade das Zusammenleben von Menschen und Tieren ist ein Aspekt des «Himmels auf Erden», bei dem man tatsächlich etwas tun kann, um weniger Leid und Elend auf die Welt zu bringen. Und das ist doch etwas Schönes und Hoffnungsvolles.

Wie denkst du darüber? Schreib mir gerne eine E-Mail an contact@reflab.ch oder direkt auf Instagram.

Eine der wenigen theologischen Bewegungen dazu: Arbeitskreis Kirche und Tiere

Transkript anzeigen

00:00:00: Dieses Video schob ich lange vor mir her.

00:00:02: Es geht um ein kompliziertes, emotionales Thema.

00:00:05: Und es ist eines, das mir sehr wichtig ist.

00:00:08: Deswegen ist es mir auch wichtig,

00:00:09: mich so auszudrücken, dass ich verstanden werde.

00:00:12: Es interessiert mich sehr, was du von diesem Video hältst.

00:00:15: Auch wenn du im Verlauf des Videos merken solltest,

00:00:18: dass du mit dem, was ich sage, nicht einverstanden bist,

00:00:20: dann freue ich mich sehr, wenn du dennoch weiterschaust

00:00:23: und mir am Ende deine Sicht in einem Kommentar schreibst.

00:00:26: Also.

00:00:27: In meinem Instagram-Feed kriege ich viele Tier-Videos.

00:00:30: Vielleicht kennst du diese Art Reels:

00:00:32: Ziegen, die auf der Weide rumhüpfen,

00:00:34: Kühe, die mit Bällen spielen

00:00:36: oder sich an Menschen rankuscheln,

00:00:39: oder Vögel, die im Takt der Musik tanzen.

00:00:42: Wir lieben Tiere alle, nicht wahr?

00:00:44: Aber in unserer Spiritualität werden sie völlig ausgeblendet.

00:00:48: Und ich glaube, gerade heute,

00:00:51: wo viele von uns Tiere im Alltag nur noch auf Instagram sehen,

00:00:56: blenden wir etwas aus, das eigentlich dazugehören würde.

00:00:59: Und was auch theologisch relevant ist.

00:01:01: Kürzlich war ich in einem Gottesdienst,

00:01:03: bei dem im gelesenen Bibeltext Tiere vorkamen.

00:01:06: Jesaja 11 - eine Vision des Paradieses,

00:01:10: des Himmels, von einem Ort und einer Zeit,

00:01:13: an dem wirklich Frieden herrscht.

00:01:15: Das Bild, das der Text davon zeichnet,

00:01:17: sind Menschen und Tiere aller Art,

00:01:20: die friedlich zusammenleben.

00:01:22: Kühe und Bären, die auf einer Wiese liegen,

00:01:26: ihre Jungen spielen miteinander,

00:01:28: oder kleine Kinder, die mit Schlangen spielen,

00:01:31: ohne dass sie gebissen werden.

00:01:33: Im weiteren Verlauf des Gottesdienstes

00:01:35: ging es dann nur noch um Menschen.

00:01:37: In der Predigt, in den Liedern und auch in der Fürbitte;

00:01:39: wir beteten für Menschen, die arm sind,

00:01:41: die einsam oder hungrig sind,

00:01:44: die in Kriegsgebieten leben.

00:01:45: Dieses Bild jedoch im Gottesdienst,

00:01:47: das paradiesische Zusammenleben von Mensch und Tier,

00:01:50: als ich das hörte, dachte ich:

00:01:52: Es gibt so viele Probleme auf der Welt,

00:01:53: bei denen ich mich total hilflos fühle.

00:01:56: So viel Krieg und Leid und Elend,

00:01:58: aber dieser Teil des Paradieses wäre

00:02:01: ja eigentlich relativ einfach zu erreichen.

00:02:03: Warum tun wir da nicht mehr dafür?

00:02:05: Das Christentum blendet Tiere ziemlich aus.

00:02:08: Im besten Fall sind sie "Teil der Schöpfung",

00:02:11: um die man sich kümmern soll.

00:02:14: Zum Beispiel, dass wegen Abholzung in Borneo

00:02:16: die Orang-Utans dort nicht aussterben.

00:02:19: Irgendwas weit entferntes, abstraktes.

00:02:22: Doch ich glaube, gerade wenn wir

00:02:24: auf Instagram diese Tier-Videos schauen,

00:02:26: oder mit unseren Haustieren spielen,

00:02:28: merken wir: Tiere sind viel mehr als das.

00:02:31: Tiere sind nicht bloss ein Teil der Biomasse

00:02:34: unseres Planeten, unseres Ökosystems.

00:02:36: Sondern, gerade, wenn du Haustiere hast,

00:02:38: weisst du, dass Tiere individuelle Wesen sind.

00:02:41: Geschöpfe wie wir.

00:02:42: Vielleicht nicht ganz so komplex,

00:02:44: aber durchaus vergleichbar:

00:02:46: Tiere können Freude haben, spielen, Beziehungen knüpfen,

00:02:49: und sie verspüren Schmerz.

00:02:51: Und zwar nicht nur körperlich,

00:02:53: auch emotional.

00:02:54: Wenn einer Kuh ihr Kalb weggenommen wird,

00:02:56: dann schreit sie tagelang,

00:02:58: erzählte mir mal jemand.

00:02:59: Mich beschäftigt das momentan sehr.

00:03:01: Gerade auf Instagram sehe ich Posts und Stories

00:03:03: von Bauernhöfen, wo es anders funktioniert.

00:03:07: Die anders denken.

00:03:08: Wo Tiere individuell wahrgenommen werden,

00:03:11: nicht als Maschinen oder Gegenstände.

00:03:13: Man muss Tiere nicht vermenschlichen.

00:03:15: Ethisch und philosophisch kann man gut begründen,

00:03:18: dass Tiere und Menschen unterschiedlich sind

00:03:19: und auch einen unterschiedlichen moralischen Status haben.

00:03:22: Aber es verbindet uns trotzdem noch

00:03:25: viel mehr, als dass uns unterscheidet.

00:03:26: Ich sage nicht, wir sollten alle

00:03:29: Veganer:innen werden, keine Angst,

00:03:30: du kannst getrost weiterschauen.

00:03:31: Aber wenn du als spiritueller Mensch,

00:03:33: als Christ:in, dich dafür einsetzen möchtest,

00:03:36: dass es mehr "Himmel auf Erden" gibt,

00:03:37: wenn du fragst:

00:03:39: "Gott, warum lässt du so viel Leid

00:03:41: auf der Welt zu?",

00:03:42: dann kommst du meines Erachtens theologisch

00:03:44: nicht um dieses Thema herum.

00:03:45: Ich glaube, man kann durchaus hin und wieder

00:03:47: ein Stück Fleisch essen,

00:03:49: wenn man das mit seinem Gewissen vereinbaren kann,

00:03:50: und das Tier ein gutes Leben hatte.

00:03:52: Das heisst, es hat Tageslicht gesehen,

00:03:54: Erde unter den Füssen gespürt,

00:03:56: wurde nicht vollgemästet,

00:03:58: sodass es möglichst schnell bereit ist

00:04:00: und möglichst rentabel ist.

00:04:01: Aber wie wir heute leben und essen,

00:04:03: das gab es noch nie

00:04:04: in der Geschichte der Menschheit.

00:04:06: Alleine in der Schweiz werden

00:04:08: täglich eine Viertelmillion Tiere geschlachtet.

00:04:11: Und ich wage zu behaupten,

00:04:13: dass die allermeisten von ihnen

00:04:15: kein Leben hatten, wie sie es sich wünschen würden,

00:04:17: oder wie es in der Schöpfung angelegt wäre.

00:04:20: Und ich glaube, das viele Leid und Elend

00:04:23: ist theologisch gesagt

00:04:24: eine der grössten Sünden der heutigen Zeit.

00:04:27: Wir können niemandem die Schuld dafür in die Schuhe schieben.

00:04:30: Es sind keine Naturkatastrophen,

00:04:32: keine unberechenbaren Krankheiten.

00:04:35: Paradoxerweise ist es genau darum auch ein Thema,

00:04:39: bei dem man etwas dazu beitragen kann,

00:04:41: dass mehr Himmel auf Erden kommt.

00:04:44: Das ist doch eigentlich etwas Schönes

00:04:46: und Hoffnungsvolles, sich dafür einzusetzen.

00:04:49: Es gibt nicht ein einziges "Rezept" dafür.

00:04:51: Nicht Schritte A, B, C, D,

00:04:53: oder klare Einordnungen, was im Detail richtig und falsch ist.

00:04:55: Aber ich freue mich, wenn du dich auch

00:04:57: mit der Frage auseinandersetzt,

00:04:58: wie Spiritualität, Glaube und Beziehung leben

00:05:01: auch damit zu tun hat,

00:05:03: wie du andere Geschöpfe respektierst.

00:05:05: Ihr Leben und ihr individuelles Sein.

00:05:07: Und jetzt freue ich mich, wenn du mir einen Kommentar zu diesem Video schreibst.

00:05:11: Und wenn es dir gefällt, kannst du es auch gerne teilen und weiterleiten.

Neuer Kommentar

Dein Name oder Pseudonym (wird öffentlich angezeigt)
Mindestens 10 Zeichen
Durch das Abschicken des Formulars stimmst du zu, dass der Wert unter "Name oder Pseudonym" gespeichert wird und öffentlich angezeigt werden kann. Wir speichern keine IP-Adressen oder andere personenbezogene Daten. Die Nutzung deines echten Namens ist freiwillig.