Psalm 23: Glaube als Prozess
Shownotes
"Der Herr ist mein Hirte": Vermutlich einer der bekanntesten Texte aus der Bibel. Es geht um eine Person, die unterwegs ist, auf grünen Wiesen und durch dunkle Täler. Am Ende kommt sie an einen Ort, an dem sie sich sicher und geborgen fühlt, der Psalm endet mit: "Ich werde bleiben im Hause Gottes."
Doch: Genau dieser Satz ist möglicherweise falsch wiedergegeben worden.
Das Verb, das mit "bleiben" übersetzt wird, könnte auch von der Grundform "zurückkehren" stammen. Damit würde sich aber die Bedeutung des Satzes verändern. Anstatt dass damit primär die Hoffnung auf ein Jenseits, einen sicheren Ort am Ende der Strapazen des Lebens geschürt würde, wäre es immer wieder ein Zurückkehren, schon im Diesseits.
Diese Variante deckt sich viel mehr mit dem, wie ich Glauben erlebe. Als Prozess, der das ganze Leben umfasst. Ein ständiges Zurückkehren und wieder Losziehen, ein Ankommen und wieder Rausgehen ins Leben, mit all seinen grünen Wiesen und dunklen Tälern.
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Transkript anzeigen
00:00:00: Kennt ihr Psalm 23?
00:00:01: "Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln."
00:00:04: Es ist die Geschichte von jemandem, der/die unterwegs ist,
00:00:06: zwischen grünen Wiesen und dunklen Tälern;
00:00:09: wie es halt so ist im Leben.
00:00:11: An schönen Orten und an weniger schönen.
00:00:13: Am Schluss kommt die Person an.
00:00:15: An einem Ort, an dem sie sich selber sein kann,
00:00:18: an dem sie sich zuhause und geborgen fühlen kann.
00:00:20: Martin Luther übersetzte den Vers folgendermassen:
00:00:22: "Ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar."
00:00:25: Jetzt aber, Spoiler Alert:
00:00:27: Das Wort "bleiben" ist in der Bibel möglicherweise falsch übersetzt.
00:00:30: Eigentlich passt "bleiben" ja nur,
00:00:33: wenn es wirklich um das Ende geht, um den Himmel,
00:00:36: wo man sich nach all den Strapazen des Lebens ausruhen kann.
00:00:40: Es wäre ja schön, wenn es immer so wäre.
00:00:43: Auch Christ:innen tun alles, um das im Diesseits schon erleben zu können;
00:00:47: also die Gegenwart Gottes, die Ruhe und der Frieden,
00:00:50: nach der wir uns sehnen.
00:00:52: Und wenn man das nicht oder nicht immer spürt,
00:00:56: heisst es womöglich, "Du glaubst falsch" oder "Du glaubst zu wenig".
00:01:00: Oder: "Du müsstest halt mehr Bibel lesen,
00:01:02: mehr Zeit mit Gott verbringen", oder "mehr anderen Menschen von Gott erzählen".
00:01:06: Und du gibst dir enorm Mühe,
00:01:08: diesen Ort, dieses Gefühl zu erreichen,
00:01:10: hinkst diesem Ideal aber trotzdem immer hinterher.
00:01:12: Das hebräische Verb, das mit "bleiben" übersetzt wird,
00:01:15: ist ein unregelmässiges Verb, und im Grundtext ist ein Konsonant weggefallen.
00:01:19: Das heisst: Es ist nicht eindeutig, auf welche Grundform das Verb zurückgeht.
00:01:23: Einerseits könnte es "bleiben" meinen,
00:01:26: andererseits könnte die Grundform auch "zurückkehren" sein.
00:01:28: Also: "Ich komme ins Haus Gottes zurück, solange ich lebe."
00:01:32: "Ich werde zurückkehren ins Haus JHWHs, solange ich lebe."
00:01:36: Bibelwissenschafter:innen sind sich nicht einig über die ursprüngliche Variante.
00:01:41: In der Lutherbibel lautet es in Psalm 23,6 immer noch "bleiben",
00:01:43: die Zürcher Bibel übersetzt "zurückkehren".
00:01:45: Vielleicht muss man sich hier auch gar nicht festlegen,
00:01:48: denn der hebräische Bibeltext enthält viele solcher Spielräume,
00:01:52: die auch bewusst gesetzt und genutzt wurden.
00:01:53: Ich denke, es reicht, sich bewusst zu sein,
00:01:56: dass hier beide Verben gemeint sein könnten.
00:01:58: Für mich war es aber eine Entdeckung,
00:02:00: dieses "zurückkehren".
00:02:01: Es deckt sich viel stärker mit dem, wie ich Glaube erlebe.
00:02:06: Dass es eine Wellenbewegung ist.
00:02:08: Manchmal ist Glaube näher an Gott, intensiver,
00:02:11: manchmal fühle ich mich weiter entfernt, ist mein Glaubensleben weniger intensiv.
00:02:14: Es ist immer wieder eine Bewegung zwischen
00:02:17: Ankommen, mich geborgen, geliebt und sicher fühlen,
00:02:22: und wieder losziehen ins Leben,
00:02:24: mit seinen grünen Wiesen und dunklen Tälern.
00:02:28: Wie interpretierst du diesen Vers?
00:02:31: Und wie fühlt sich Glaube für dich an,
00:02:33: welche Bilder hast du dafür?
00:02:35: Schreib mir gerne einen Kommentar.
00:02:37: Und ich weiss nicht, ob du's gesehen hast:
00:02:38: Diese Videos gibt es neuerdings auch als Podcast auf Schriftdeutsch,
00:02:42: du findest ihn überall, wo es Podcasts gibt,
00:02:45: unter dem Titel "Unter freiem Himmel".
00:02:47: Ich freue mich, wenn du auch dort mal reinhörst
00:02:50: und den Podcast vielleicht sogar abonnierst.
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